Carmelito

Den Namen habe ich ihm gegeben, es ist vermutlich nicht sein einziger, er tauchte im November 2022 bei Nachbarn auf der Terrasse auf und wurde immer häufiger gesichtet. Meine Katzen und ich haben ihn dann im Januar 2023 kennengelernt.
Er war wahrscheinlich etwas über ein Jahr alt, unkastriert, sozial und mit gepflegtem Erscheinungsbild. Letzteres ist allerdings kein Garant für vorhandene Halter. Carmelito kam immer häufiger und sorgte für Stress mit meinen Katzen. Die Mädchen Ronya und Kira flüchteten vor ihm, weil er sie verfolgte und aufdringlich wurde, die Kater wurden bedrängt und das selbst im eigenen Hof, fünf Meter vor der Haustür. Carmelito ignorierte die noch freundlichen Grenzsetzungen und auch Teddys eindeutige Platzverweise. Sehr deutlich war Carmelitos freundliches und soziales Wesen zu erkennen, doch gleichzeitig trieben ihn die Hormone immer stärker in die Konfrontation, ein stetiges Schwanken zwischen den beiden Verhaltensweisen, doch von Tag zu Tag wurde seine Zudringlichkeit stärker. Immer häufiger mußte ich zwischen die Kater gehen und Carmelito vertreiben, um Kämpfe zu verhindern. Doch er kam zurück, teils bereits nach einer Viertelstunde. Die Situation konnte jederzeit in ernsthafte Katerkämpfe eskalieren und da Carmelito unkastriert war, ging es nicht um die üblichen Kommentkämpfe unter Nachbarschaftskatzen, sondern um Beschädigungskämpfe, also ein Kampf auf „du oder ich“ bis einer aufgeben muß, weil er verletzt ist. Das gleiche Konfliktpotential war auch mit den Nachbarkatzen zu hören und zu sehen. Carmelito suchte überall „Kontakt“, er ging auch in Häuser katzenloser Nachbarn. Sein Verhalten war sehr auffällig und ich fragte mich durch die Nachbarschaft, ob irgendjemand wußte oder ahnte, wo der Kater zu Hause war. Doch ein Halter ließ sich nicht finden, womöglich war Carmelito weiter entfernt zu Hause oder er hatte keine Halter, vielleicht wurde er nur gefüttert, vielleicht …. alles Spekulation.

Ich suchte Rat beim Berliner Tierheim, denn natürlich wollte ich nicht einfach irgendwessen Kater kastrieren lassen, doch die stetig steigende Verletzungsbedrohung meiner Katzen im eigenen Garten bzw. sogar die der ganzen Katzennachbarschaft durch einen potenten und konfliktsuchenden Kater war auch nicht mehr hinnehmbar. Der Druck von Carmelito aus auf alle anderen stieg stetig an.
Fundkatzen die in der Tiersammelstelle des Berliner Tierheims abgegeben werden und unkastriert sind, werden umgehend kastriert, findet sich der Halter, muß er für die Kosten aufkommen.
Hier in Berlin gibt es eine eindeutige Katzenschutzverordnung, für unkastrierte Katzen ist kein Freilauf gestattet, jeder Freigänger der älter als fünf Monate ist, muß kastriert, mittels Mikrochip gekennzeichnet und registriert sein. Carmelito war bereits seit mehreren Monaten unkastriert in der Nachbarschaft unterwegs und seinem Verhalten nach, wird er leider jede weibliche Streunerkatze gedeckt, sie damit gefährdet und zum Streunerelend beigetragen haben.

Um dem Ganzen ein Ende zu setzen, blieben mir nur zwei Möglichkeiten, Carmelito einzufangen und als Fundkatze zur Tiersammelstelle im Tierheim Berlin zu bringen oder ihn auf eigene Kosten kastrieren zu lassen und ihn danach wieder unter weiterer Beobachtung in unser Umfeld zu entlassen.
Ich entschied mich mit Unterstützung und Hilfe mehrerer Nachbarn für Letzteres und Carmelito kam trotz aller vorangegangenen Vertreibungsversuche bei der nächsten Begegnung auf mich zu und ließ sich mitnehmen.
Er trug tatsächlich einen Chip, doch leider war er nicht registriert, sonst hätte ihn die Tierarztpraxis gegen Begleichung der Rechnung für die Kastration direkt an seine Halter übergeben. Mangels ermittelbarem Halter habe also ich die Tierarztkosten in Höhe von 317 € bezahlt. Zusätzlich zur Kastration war auf meinen Wunsch auch ein FIV- und Leukosetest gemacht worden, zum Glück war beides negativ und so konnte Carmelito bei uns in ein Einzelzimmer ziehen. Er sollte erstmal seinen Narkose richtig verarbeiten, bevor er wieder raus durfte, denn draussen war es noch sehr kalt.
Umgehend habe ich ihn beim Tierheim als Fundkatze gemeldet, bei Tasso nachgesehen, ob er vermißt wird, irgendwo weiter weg entlaufen ist. Leider ohne Erfolg.

Carmelito futterte gut, benutzte sein Katzenklo, den Kratzbaum, Spielzeug und benahm sich wie ein Kater mit sicherem Zuhause oder wie einer, der mal eines hatte. Er war absolut händelbar, verspielt und offen für Streicheleinheiten. Doch sein Urin roch noch sehr potent, natürlich dauert der Abbau der Hormone nach der Kastration durchaus mehrere Wochen, aber ganz so hochpotent wollte ich Carmelito nicht „entlassen“, zum Wohle der Streunerkatzen und zum Wohle meiner und der Nachbarschaftskatzen. Carmelito fügte sich gut ein und kam auch mit meinen Katzen an der Gittertür immer besser zurecht.
So blieb er fünf Tage lang unser Gast, fünf Tage in denen er weder bei Tasso, Findefix, noch im Tierheim vermißt gemeldet wurde oder in denen jemand erkennbar nach ihm suchte. Also lag leider nahe, daß er nur eine Futterstelle hatte, er dort aber keine tierärztliche Versorgung bekam, sonst hätte längst jemand Verantwortung übernehmen müssen und für eine Kastration sorgen.
Damit es zukünftig einen Ansprechpartner für ihn gab, hatte ich ihn inzwischen bei Findefix und Tasso registriert. Damit er nicht nur gefüttert wurde bzw. die Fütterer von unserer Aktion erfuhren und wir uns abstimmen konnten, entließ ich Carmelito mit einem Halsband von Rogz, welches sich bei niedrigster Gewichtsstufe öffnete und die Aufschrift „nicht füttern“, sowie einen Adressanhänger mit meinen Kontaktdaten trug.
Er würde wahrscheinlich selbst bestimmen, wo es ihn hin zog. Carmelito wußte um die sichere Versorgung und ein mögliches Zuhause für ihn bei uns, seine Beziehung zu meinen Katzen war auf dem Weg einer möglichen Gemeinschaft. Er ging erstmal in Ruhe Hof und Garten ab, dann zog er allmählich seiner Wege ohne jede Eile. Ganz egal wohin uns das nun alle führen würde, durch die nachlassenden Hormone würde Carmelito sich immer besser in die Katzenschaft des Umfeldes einfügen, ein Gewinn für alle, auch für ihn selbst.

Gegen Abend erhielt ich einen Anruf vermeintlicher Halter, ihr Kater wäre mit meinem Halsband heimgekommen. Nach gründlicher Aufklärung meinerseits über die Umstände, über die Katzenschutzverordnung und über die Höhe der Tierarztrechnung, wollten sie sich erstmal selbst erkundigen und bei mir zurückmelden. Sie verweigerten die Nennung ihres Namens und ihrer Anschrift.
Sie haben sich bis heute nicht zurückgemeldet. Sie haben auch unser Halsband nicht zurückgegeben oder in den Briefkasten geworfen, da es kein Billiges war, läßt sich das schon als Diebstahl bzw. mindestens Fundunterschlagung werten, es spricht unter den Umständen nochmal eine eigene Sprache.
Möglich ist also, daß Carmelito Halter hatte und hat, die einfach ihrer Verantwortung nicht nachkamen, ihn fünf Tage lang nicht vermißt meldeten und sich auch nicht öffentlich zu ihm bekennen. Es ist auch möglich, daß er von irgendwem nur gefüttert wurde und dort nun vollständig aufgenommen wurde, nachdem ich für die Kastration gesorgt hatte. Was auch immer.
Eine Zeit lang trug Carmelito ein Halsband, jedoch ohne Halter/Adressangaben. Wie ein anonymer Besitzanspruch, einer ohne Haftung quasi.

Ich habe die Nachforschung eingestellt, Carmelito hat bekommen, was er gebraucht hat, um im Umfeld in Frieden mit den anderen Katzen leben zu können. Meine Katzen und die Nachbarkatzen haben inzwischen ein geordnetes Verhältnis zu Carmelito. Er kommt weiterhin zu Besuch, aber seltener und er vermeidet die Konfrontation. Der hormonbedingte Druck ist raus.
Carmelitos Geschichte zeigt sehr eindrücklich, wie wichtig Kastration ist, auch für ein friedfertiges Miteinander der Freigängerkatzen.
Leider bekommen die Halter oder Fütterer unkastrierter Freigänger die Folgen der Katerpotenz selten mit oder sie ignorieren sie, da es sie selbst nicht betrifft und nur Anderen Leid, Kosten und Schäden entstehen: von intensiv riechenden Markierstellen durch Urin, der Gartenmöbel und Haustüren beschädigt, über Tierarztkosten für verletzte andere Katzen aufgrund der Beschädigungskämpfe bis zum Streunerelend durch Deckung der weiblichen Streunerkatzen, die oft bereits am Existenzlimit sind.
In Berlin ist die Kastration Pflicht für Freigängerkatzen und es wäre für alle Beteiligten ein Segen, würden sich auch alle Halter von Freigängerkatzen daran halten.

 

Jamie und Carmelito am 15. Januar 2023






Deutlich sieht man Carmelitos einerseits Beschwichtigen (Wegdrehen, Abwenden des Blickkontakts), andererseits treibt es ihn immer weiter in die Konfrontation auf Jamie zu, ein freier Rückzug wäre jederzeit möglich gewesen, hinter Carmelito sind zwei Fluchtwege offen
Die nachfolgenden zahlreichen Konfrontationen habe ich nicht mehr fotografiert, den Katergesängen entsprechend mußte ich sofort dazwischen, die Situation begleiten und beenden

 

Carmelito nach der Kastration im Spielmodus

Entspannte Situation an der Gittertür, Jamie schaut dem schlafenden Carmelito (auf dem Kratzbaum) zu


 

Das Halsband mit Gewichtseinstellung und Adressanhänger

Carmelito beim Probetragen, es stört oder irritiert ihn nicht

Der erste Gang in den Hof nach der Kastration

Einer der nachfolgenden Besuche von Carmelito, es gibt natürlich sehr viel mehr Dokumentationsfotos als hier veröffentlicht sind

 

Carmelito im Sommerpelz